Interview mit einer Auswanderin 2.0

Am 06. Juli 2019 habe ich eine weitere Medellin Auswanderin getroffen. Aus persönliches gründen möchte sie lieber Unbekannt bleiben, deshalb lasse ich den Namen und woher sie kommt weg. Wir haben uns in dem wunderschönen Restaurant Asados Dona Rosa in Las Palmas getroffen. Das essen war mega lecker, auch wenn ich vor lauter reden kaum zum essen gekommen bin. 😉 Ich freue mich sehr darüber das wir uns kennengelernt haben und bin mir sicher, dass wir weiterhin in kontakt bleiben werden. Wir haben uns super verstanden und während unseres Gesprächs viele Gemeinsamkeiten entdeckt. Es ist schön in einem so weit entfernten Land jemanden aus der Heimat zu treffen, mit dem man gleich auf der selben Wellenlänge ist.

Lest jetzt das ganze Interview.

Inerview Auswandern Kolumbien

Warum bist du nach Medellín gekommen?

Ich wollte einen Freiwilligendienst machen und hatte einen Platz bei den Freunden der Erziehungskunst Rudolf Steiners (Waldorf) bekommen. Bei dieser Organisation kann man sich direkt auf eine Einsatzstelle bewerben, die interessant erscheint. Ich wollte gerne nach Kolumbien und in eine Stelle, bei der ich nicht in einer Gastfamilie untergebracht werden würde. In Medellín bietet die Fundación Arca Mundial an, dass man als Freiwilliger direkt in der Einrichtung lebt. Nach einer kurzen Google- Recherche stieg mein Interesse an der Stadt, da das Wetter so schön ist und die Stadt viel für die Lebensqualität ihrer Bürger zu machen schien. Nach dem Freiwilligendienst entschied ich mich dann ganz bewusst für die Auswanderung nach Medellín, da hier mein Mann und dessen Familie wohnt und ich mich in der Stadt sehr wohl fühle.

Was arbeitest du in Medellín?

Bislang habe ich viel meinem Mann mit seiner Firma Klang Producciones geholfen. Wir haben Musik- und Lichtanlagen, die wir für Geburtstage, Hochzeiten usw. vermieten und den kompletten Aufbau übernehmen. Außerdem bieten wir Live-Auftritte von Musikern, DJs und professionellen Animateuren. Da ich wie in Deutschland weiter im pädagogischen Bereich arbeiten wollte, habe ich mich im Kindergarten des Colegio Alemán beworben und wurde glücklicherweise angestellt.

Wie lange lebst du schon hier und in welchem Stadtteil?

Ich habe ein knappes Jahr in San Javier gelebt und bin vor kurzem nach Itagüí gezogen.

Hattest du je das Gefühl, dass es hier nicht sicher ist?

Das ist eine sehr schwierige Frage. Ich fühle mich persönlich sehr sicher, aber ich habe bereits seit zehn Jahren Erfahrungen in Lateinamerika und kenne einige wichtige Sicherheitsregeln, die in Deutschland nicht gelten. Mir ist noch nie etwas passiert, als ich einmal meinen Geldbeutel verloren habe wurde er mir unversehrt zurück gegeben – die Finderin wollte auf keinen Fall Finderlohn annehmen. Für sie war es eine Selbstverständlichkeit, den Geldbeutel zurück zu geben, ohne etwas zu nehmen und zu behaupten, sie habe den Geldbeutel so gefunden. Aber ich würde beispielsweise als Frau auf keinen Fall Nachts alleine durch die Gegend spazieren… Außer im Barrio La Loma, dort ist mein Mann aufgewachsen und da kennen mich alle. In La Loma fühle ich mich tausend mal sicherer als in diversen Reichenviertel von Medellín, wo mir alle paar Meter Drogen angeboten werden, wenn ich kurz auf die Straße gehe.

Welches Visum hast du und wie lange hat es gedauert, es zu bekommen?

Zunächst hatte ich das Visum für meinen Freiwilligendienst. Da hatte ich Unterstützung durch die Organisation und habe das Visum innerhalb von zwei Wochen im Konsulat in Frankfurt bekommen. Jetzt habe ich das Ehegatten-Visum. Wir haben im Februar 2019 in Kolumbien geheiratet. Zuvor habe ich mich erkundigt, welche Dokumente ich aus Deutschland benötige. Das hat dort drei Monate gedauert, bis ich alles zusammen hatte. In Kolumbien habe ich dann erfahren, dass die Dokumente zwar in Ordnung waren, aber die teure Übersetzung und Beglaubigung des Dolmetschers hier in Kolumbien nichts wert sind. Zumindest haben mehrere Notarías diese nicht anerkennen wollen, sodass wir aus Zeitnot einen hiesigen Übersetzer für die gleiche Arbeit beauftragen mussten. Ich war dann sehr froh, als wir endlich heiraten konnten. Eine Bekannte hat mir einen Berater empfohlen, der mir bei der Beantragung des Visums geholfen hat. Drei Wochen später bekamen wir die Antwort der Migración aus Bogotá, dass wir zur Befragung kommen sollen, um zu überprüfen, ob wir tatsächlich ein Paar sind. Da hatten wir etwas Pech, da das normalerweise nicht so häufig passiert und wir dann innerhalb von fünf Werktagen in Bogotá vorstellig werden mussten. Der Vorteil war, dass ich nach der Befragung dann direkt vor Ort mein Visum bekommen habe und der ganze Prozess somit nur drei Wochen gedauert hat. Ansonsten hätte ich meinen Pass nach Bogotá schicken müssen und das wäre langwieriger gewesen. Ich war sehr froh, während dessen den sehr engagierten Berater an meiner Seite zu haben und finde, dass dessen Lohn sehr gut investiertes Geld war.

Was kannst du über das Leben in Medellín berichten?

Puh, unheimlich viel. Ich mag diese Stadt sehr gerne. Die Berge drumherum, das viele Grün, das T-Shirt-Wetter und die stürmischen Gewitter. Ich mag die vielen Dörfer rund um Medellín und die zahlreichen Möglichkeiten, sich unter freien Himmel sportlich zu betätigen. Außerdem schätze ich die Metro, dass man gratis den Botanischen Garten besuchen kann und die Straßen recht sauber sind. Allgemein habe ich den Eindruck, dass die Paísas sehr gut auf ihr Eigentum achten, ihre Vorgärten pflegen und teilweise sogar die Fliesen auf dem Bürgersteig wischen. Medellín hat so viel mehr zu bieten als das traurige Narko-Image. Deshalb finde ich es sehr schade, wenn die Touristen hier in El Poblado hängen bleiben und einige es wohl toll finden, sich mal direkt vor Ort etwas durch die Nase zu ziehen. Jeder der das macht, macht sich gleichzeitig mitschuldig an den vielen Menschen, die im Drogenkrieg ihr Leben gelassen oder ein liebes Familienmitglied verloren haben. Pablo Escobar ist definitiv nicht „cool“, auch wenn das einige Serien so darstellen.

Was kannst du über die Menschen und die Mentalität sagen?

Meine subjektive Meinung ist, dass die Menschen hier viel glücklicher sind, vor allem je weniger materiellen Besitz sie haben. Ich glaube, dass die Familie und Nachbarn eine viel größere Rolle spielen als in Deutschland. Dafür sind Freundschaften oftmals von kurzer Dauer oder nicht ganz so tiefgründig. Die Menschen hier sind im Großen und Ganzen hilfsbereit und sehr offen für ein Gespräch, auch unter Fremden. Leider haben viele einen großen Hang zum Alkohol und gehen nicht besonders verantwortungsvoll damit um, gerade im Straßenverkehr. Und da muss man es ja auch nicht so genau nehmen, wenn man kontrolliert wird und ein paar Pesos mehr bezahlt, wird man mit großer Wahrscheinlichkeit weiterfahren dürfen. Auch eine Verweigerung der TÜV-Plakette kann man mit extra Geld in einigen Werkstätten umgehen und so weiter… Dass man sich damit im Grunde selbst schadet ist den meisten oftmals nicht bewusst. Der Kopf ist aus der Schlinge und damit ist alles gut. Allgemein machen sich die Menschen nicht so viele Gedanken und Sorgen. Wir haben morgen kein Geld mehr? Egal, wir wollen den Abend genießen und können uns ja dann morgen Gedanken machen, wie wir das lösen. Hier in Medellín legen die Leute sehr viel Wert auf ihr Äußeres. Es wird viel Sport betrieben und wenn das nicht hilft oder es schneller gehen soll, legt man sich unters Messer. Dafür verschulden sich einige für lange Zeit. Aber egal, denn es ist sowieso normal, sich teurere Dinge auf Kredit zu kaufen. Die Kirche wird zwar groß geschrieben, doch gleichzeitig hört man ständig von verheirateten Männern und Frauen, die fremd gehen und dem daraus entstehenden Misstrauen in Liebesbeziehungen… Ich hoffe, ich war nicht zu negativ in meinen Schilderungen. Ich fühle mich um einiges wohler und entspannter, seit ich hier lebe. Und ich bin überzeugt, dass diese Ruhe von den Menschen um mich herum kommt. Und ich mag nicht mehr andauernd über Steuererklärungen und das nicht funktionierende Rentensystem sprechen. Oder Donald Trump, das scheinbare Lieblingsthema der Deutschen.

Hast du ein Lieblingsrestaurant?

Viele. Aber am liebsten gehen wir mexikanisch essen, im Q’hubole neben der Metrostation von San Javier.

Was ist dein Lieblingsausflugziel, das du empfehlen kannst?

Wir fahren sehr gerne zum Mirador von San Felix, da gehen wir in die Bar San Ateo. Dort gibt es rockige Musik, leckeres Essen und eine schöne Aussicht auf die Stadt mit Lagerfeuer.

Würdest du Medellín wieder auswählen, wenn du entscheiden könntest?

Ja. Vor allem wegen des Klimas und der vielen Möglichkeiten, die man hier hat. Wenn ich dann alt und grau bin, würde ich gerne in ein etwas ruhigeres Dorf ziehen. Eine Finca mit Obstbäumen und Kräutergarten wäre gigantisch.

Dein persönlicher Tipp?

Die meisten Dinge könnt ihr viel besser vor Ort klären und entscheiden. Von Deutschland aus macht man sich nur ewig lange Gedanken und dann kommt doch alles anders als geplant. Kontakte sind meistens mehr wert als das große Startkapital. Und allgemein sollte man nie das große Geld suchen. Das kann man nicht mit in den Sarg nehmen. So lange man genug zu essen hat und ein Dach über dem Kopf, kann man überall glücklich sein. Menschen, die dem widersprechen, werden hier ihr Glück kaum finden. Denn Geld und Luxus bedeutet hier viel schneller Neid und die Gefahr, dass andere sich an dir bereichern möchten.

Vielen dank für das Interview. Ich freue mich schon auf unser nächstes treffen. Ganz bestimmt werden wir eure Firma für unsere nächste Party buchen. 😉

Interview, Auswandern, Kolumbien.
Restaurant Asados Dona Rosa in Las Palmas

Wenn dir das Interview gefallen hat, und du mir deine Auswanderer Geschichte erzählen möchtest, schreib mich gerne an. Ich freue mich darauf von dir zu lesen.

Victory

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